Ein Stück: Theater Poesie Philosophie

Unter dem letzten Viertel des Mondes geboren ist kein gefälliges, oder gar vordergründiges Stück, Georg Woerer arbeitet darin die elementare Sinnfrage nach dem Menschsein ab. Seine Figuren tragen ihre Konflikte auf unterschiedlichen Ebenen aus, der rationalen wie der emotionalen, der inneren wie der äußeren, sie halten sich auf in der Wirklichkeit ebenso wie in der Erinnerung.

In diesem gewaltigen komplexen Selbstgespräch bedient sich der Autor eines eigenwilligen, geradezu lyrischen Stils, die Dialoge wechseln ständig die Richtung wie Gedanken, oft spontan springend, den Faden scheinbar verlierend – später wieder mit innerer Logik aufgreifend. Woerer geht es um den Konflikt des Individuums mit sich selbst und mit moralgesellschaftlichen Konventionen, den er radikal austrägt mit Fragen nach Schuld und Sühne und der Unfähigkeit damit umzugehen.

Dieses Werk, das Woerer mit 21 geschrieben hat, wird mit Illustrationen von versch. Künstlern begleitet.

 

Auf der Bühne liegt in einem weißen Haarkranz ein Frauenkopf, zur Seite gekippt und beginnt mit elektronisch verfremdeter Stimme zu sprechen:

„Ein über und über ruinierter Unterleib

Vollkommen zersäbelt

Tot wie er toter nicht mehr sein kann

Der Gleichgültigkeit eines sogenannten

Spezialisten zu verdanken

Einem eigens dafür zuständigen Spezialisten

Seiner Zerstreutheit

Einem Quacksalber

einem Mitglied der Ärztekammer zu verdanken …”

Drastisch beginnt das Stück des Schriftstellers Georg Woerer (1961 – 2010), das „Vorspiel”, an dessen Ende „Stumme Ankläger” als Repräsentanten der Gesellschaftsmoral auftreten und über einen – jawohl – Wortführer Anklage erheben. Schließlich häuten sie den Frauenkopf mehr und mehr, bis auf der Bühne ein weiblicher und ein männlicher Körper liegen. Woerer nennt sie ICH I und ICH II, sie sind die wesentlichen Protagonisten dieses laut Anmerkung des Autors „großen nackten Selbstgesprächs.”

„Die Sprache”, so merkt der Autor im Vorwort an, „steht in einer atmosphärischen Weite, die unbedingt erreicht werden muss. Genauso wie die Handlung selbst ist sie nicht gewalttätig, sondern poetisch-rituell, nie wirklich an jemanden gerichtet.”

„Leichtsinn ist

wenn einer aus zwei Hälften besteht und er glaubt

nur der einen verantwortlich zu sein

das ist Leichtsinn

oder Nachlässigkeit

Hast du dich schon mal wie ein Ei gefühlt?

Noch nie regelrecht vergewaltigt worden?

Ich hab‘s probiert

Was?

Mich hineinzuversetzen

Bis zu einem gewissen Grad ist mir das gelungen

Ich habe mich hingelegt

und ich habe mich wie ein Ei gefühlt…“

 

Im zweiten Teil der „Erinnerungen” sitzt die Hochzeitsgesellschaft (A und B werden getraut) an einem Tisch. Nun mustert die weibliche ICH I die Braut B, spricht dann ins Leere:

„Gib du acht und vertrödle dein bisschen Zeit nicht mit Scheuklappen

eines Tages nämlich wird dich die Tiefe der Stille vorziehen

und mit präzise derselben Unmittelbarkeit mit der du

so überwältigt werden wirst wirst du nach dem Ursprung

sozusagen nach dem Auslöser suchen und nicht wissen wie und mit was für

kindlicher Einfalt du den Weg dorthin angetreten und wie anstandslos artig

und zahm du die unzähligen Marksteine passiert

die Abzweigungen zur Linken und Rechten nicht einmal im geringsten

zur Kenntnis genommen und du die folglich ungenutzt hinter dir

liegengelassen hast…“